Gemeinschaftsgärten schaffen Arbeitsplätze und Einkommen
Die Entstehungsgeschichte des Projekts
Brachliegende öffentliche oder private Grundstücke nutzbar zu machen, um auf diesen Flächen durch nachhaltige Agrarprojekte auf der Basis ökologischer Landwirtschaft Arbeitsplätze und Einkommen zu schaffen und so zur sozialen Eingliederung gesellschaftlicher Randgruppen beizutragen, ist das vorrangige Ziel des Projekts Gemeinschaftsgärten.
Die Idee dazu kam Hans Dieter Temp, der die Organisation STÄDTE OHNE HUNGER im Jahr 2004 in São Paulo gründete, als er Ende der 1990er Jahre nach einer zweijährigen landwirtschaftlichen Ausbildung in einem baden-württembergischen Betrieb und einem knapp achtmonatigen Kurs mit umweltpoltischem Schwerpunkt nach Brasilien zurückkehrte.
Temp hatte große Unterschiede in der Flächennutzung von Deutschland und Brasilien beobachtet. Die hocheffiziente Landbewirtschaftung in Deutschland und die deutsche „Gärtnerkultur“ hatten ihn ebenso beeindruckt wie der dortige Umgang mit öffentlichen Grünflächen. Aus diesen Eindrücken erwuchs die Idee, sich für eine sinnvollere Nutzung von Flächen in Brasilien einzusetzen.
Damit angefangen hat Temp vor seiner eigenen Haustür in der “Zona Leste”, der Ostzone São Paulos.
Etwa 3,3 Millionen Menschen leben dort. Die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in dieser Region besteht aus 1.704.858 Menschen, die insgesamt 31 Prozent der Arbeitskräfte in São Paulo ausmachen. Schätzungsweise 904.089 Arbeitslose zählt die Megacity. 358.282 von ihnen, also 40 Prozent, leben in der Ostzone.
Der durchschnittliche Human Development Index (HDI), der nicht nur das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und dessen Verteilung, sondern auch die Lebenserwartung und den Bildungsgrad der Bevölkerung berücksichtigt, liegt hier bei 0,478. Im Vergleich dazu beträgt dieser von den Vereinten Nationen eingeführte Wohlstandsindikator in Bereichen der Südzone der Megacity 0,927, was dem HDI von Deutschland entspricht.
In der Peripherie São Paulos gibt es zahlreiche Flächen, für die kein klar umrissenes Nutzungskonzept existiert.
Handelt es sich um größere Freiflächen, entstehen dort häufig die als Favelas bezeichneten illegalen Siedlungen. Kleinere Flächen werden oft zu Müllhalden, denn die öffentliche Abfallentsorgung funktioniert nicht immer zuverlässig.
Nachdem das unbebaute Grundstück unmittelbar gegenüber von Temps Haus zu einer dieser illegalen Müllhalden zu werden begann, nahm Temp diese Entwicklung zum Anlass, die Freifläche einer sinnvollen Nutzung zuzuführen.
Zusammen mit weiteren Anwohnern wurde das Areal gesäubert und zur Bepflanzung vorbereitet. So entwickelte sich im Jahr 2000 an dieser Stelle ein produktiver Nutzgarten.
Drei Jahre später, mit der Gründung von STÄDTE OHNE HUNGER, entstand schließlich der erste Gemeinschaftsgarten der Organisation, die vorwiegend in der Ostzone São Paulos rund um die Bezirke Cidade Tiradentes, São Mateus, Itaquera und São Miguel Paulista arbeitet.
So entsteht ein Gemeinschaftsgarten
- Ist eine geeignete brachliegende private oder öffentliche Fläche identifiziert, wird eine entsprechende Nutzungsgenehmigung eingeholt.
- Die Fläche wird gesäubert und für die Bepflanzung vorbereitet. Obwohl urbane Böden häufig stark degradiert sind, ist die Wiederherstellung ihrer Fruchtbarkeit fast immer möglich.
- Im zweiten Schritt werden Anwohner mit landwirtschaftlichem Interesse identifiziert und in Workshops und Kursen im Anbau und Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen geschult und ausgebildet.
- Nachdem die Qualität des Bodens wiederhergestellt und das Training abgeschlossen ist, wird die Fläche in die Verantwortung der ausgebildeten Gemeinschaftsgärtner gegeben.
- Diese beginnen damit, verschiedene Gemüsesorten anzubauen und alle mit dem Gemeinschaftsgarten verbundenen Tätigkeiten wahrzunehmen.
- Die Erträge der Nutzgärten dienen sowohl dem Eigenbedarf der Gemeinschaftsgärtner, als auch dem Verkauf an die Menschen aus der Umgebung.
- Der gesamte Prozess vollzieht sich unter intensiver Einbeziehung der Anwohner und lokaler Organisationen.
Gemeinschaftsgärten und ihr Nutzen
Urbane Landwirtschaft besitzt das Potential, zahlreiche Probleme großer Metropolen zu minimieren oder zu lösen.
VORHER
NACHHER
Ökonomischer Nutzen
Gemeinschaftsgärten schaffen Arbeitsplätze.
- Das Projekt richtet sich vor allem an Menschen, die auf dem „Ersten Arbeitsmarkt“ aufgrund ihrer Alters oder vorhandener Ausbildungsdefizite keine Chance haben.
- Auch Menschen, die zuvor auf staatliche Zuwendungen angewiesen waren, werden berücksichtigt.
- Einzige Bedingung ist ein Interesse an Landwirtschaft.
STÄDTE OHNE HUNGER qualifiziert die zukünftigen Gemeinschaftsgärtner, die mit der Übernahme eines Gemeinschaftsgartens zu eigenständigen Unternehmern werden.
STÄDTE OHNE HUNGER begleitet die Gemeinschaftsgärtner auf ihrem Weg und besucht die Gärten regelmäßig.
Sozialer Nutzen
Gemeinschaftsgärten tragen zur sozialen Integration bei.
- Arbeit strukturiert die Zeit, sie bringt soziale Anerkennung und steigert das Selbstwertgefühl.
- Soziale Beziehungen entstehen durch die gemeinschaftliche Arbeit in den Gärten und durch den Verkauf der Erzeugnisse.
- Die Kaufkraft der Gemeinschaftsgärtner steigt. Damit ist der Einkauf von Waren des täglichen Bedarfs wieder unproblematischer möglich. Auch größere Anschaffungen sind für die Projektbeteiligten und deren Familien wieder denkbar.
Gesundheitlicher Nutzen
Das Arbeitsumfeld Garten sowie die angebauten Erzeugnisse stärken die Gesundheit der Projektbeteiligten.
- Die körperliche Arbeit in und mit der Natur wirkt sich positiv auf die Gesundheit der Gemeinschaftsgärtner aus.
- Die Projektbeteiligten verfügen über einen besseren Zugang zu gesunden, pestizidfreien Nahrungsmitteln.
- Der direkte Zugang zu hochwertigen Erzeugnissen wirkt sich unmittelbar auf die Ernährung der Projektbeteiligten und deren Familien aus.
- Dementsprechend lernen die Kinder der Projektbeteiligten, die „Stadtkinder“, gesunde, naturbelassene Lebensmittel bereits in einem frühen Lebensalter kennen.
Ökologischer Nutzen
Gemeinschaftsgärten tragen zum Natur- und Umweltschutz bei.
- Durch Gemeinschaftsgärten verschwinden vernachlässigte Stadtbrachen, die zuvor häufig zur illegalen Besiedelung oder als Mülldeponien genutzt wurden.
- Gemeinschaftsgärten machen die Peripherien von Großstädten grüner.
- Gemeinschaftsgärten wirken sich positiv auf das Mikroklima von Städten (Hitzeinseln) aus.
- Pflanzen produzieren Sauerstoff und absorbieren Kohlendioxid.
- Gemeinschaftsgärten erhöhen die Bodenpermeabilität sowohl auf den Projektflächen selbst als auch in angrenzenden Gebieten, so dass weniger Wasser über Straßen oder Rohre abgeführt werden muss.
- Durch die verbesserte Infiltration von Regenwasser erhöhen sich die unterirdischen Wasservorräte.
- In den Gemeinschaftsgärten werden alle organischen Abfälle kompostiert und in dieser Form wiederverwertet.
Kontext Urbanisierung
Bevölkerungswachstum und Urbanisierung
Schon heute leben mehr Menschen in Städten als in ländlichen Regionen. Die UN schätzt, dass sich dieser Trend fortsetzen wird und im Jahr 2050 zwei Drittel der Weltbevölkerung in urbanen Räumen ansässig sein werden.
Hinzu kommt, dass sich auch das Bevölkerungswachstum fortsetzen wird und im Jahr 2050 geschätzte 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben werden.
Insbesondere in den Entwicklungs- und Schwellenländern hat dieser Trend zur Folge, dass Städte extrem schnell wachsen und sich dabei nur bedingt an Vorgaben einer wohlüberlegten Stadtplanung halten. In zunehmendem Maße prägen Slums und Favelas die Peripherien dieser Städte. Die Situation der Menschen vor Ort ist häufig höchst prekär. Nahrungs- und Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung und Arbeit gehören zu den drängendsten Problemstellungen.